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Meinung – Bürgergeld-Debatte: Politik der Täuschung statt ehrlicher Lösungen

Es ist eine der widerlichsten Formen von Populismus, die derzeit wieder aufblüht: Die Behauptung, Millionen Menschen im Bürgergeld wollten schlicht nicht arbeiten. Die CDU um Merz, Linnemann und Spahn instrumentalisiert dieses Narrativ – als moralische Kampfansage an die vermeintlich „Faulen“, tatsächlich aber als Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen und von den echten Herausforderungen auf unserem Arbeitsmarkt.

Die Fakten erzählen eine andere Geschichte.


Arbeitslosigkeit und Bürgergeld – die realen Zahlen

In Deutschland sind aktuell rund 2,9 bis 3,0 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Sie stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, bewerben sich aktiv und wollen arbeiten.

Parallel dazu beziehen etwa 5,3 bis 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. Von ihnen gelten rund 3,9 Millionen als erwerbsfähig. Doch nur etwa 1,7 bis 2,0 Millionen sind tatsächlich arbeitslos gemeldet. Der Rest befindet sich in Sprachkursen, Qualifizierungsmaßnahmen, betreut Kinder, pflegt Angehörige, ist gesundheitlich eingeschränkt – oder arbeitet bereits, muss aber wegen zu niedriger Einkommen aufstocken.

Die Behauptung, Bürgergeld sei gleichbedeutend mit „Arbeitsverweigerung“, ist schlicht falsch.


Geflüchtete im System

Besonders deutlich wird das beim Blick auf Geflüchtete. Rund 1,2 Millionen Menschen aus der Ukraine leben in Deutschland, davon über 500.000 im Bürgergeld-System. Ihre Erwerbsquote liegt bei etwa einem Drittel.

Dass nicht alle sofort arbeiten können, liegt nicht an fehlendem Willen. Es sind systemische Hürden:

  • Sprachbarrieren (ohne B1-Kurs kaum Jobchancen),
  • fehlende Anerkennung von Berufsabschlüssen,
  • nicht verfügbare Kita-Plätze.

Es ist also nicht Faulheit, sondern ein strukturelles Versagen, das Integration erschwert.


Was die Haushaltszahlen wirklich zeigen

Ein Blick in den Bundeshaushalt bringt zusätzliche Klarheit:

  • Bürgergeldzahlungen 2023: 47,102 Mrd. Euro
  • Bürgergeldzahlungen 2024: 46,923 Mrd. Euro
  • Bürgergeldzahlungen 2025: 46,901 Mrd. Euro

In diesen Beträgen sind die Leistungen für Geflüchtete bereits enthalten. Der Gesamtetat dieser Kostenstelle, also inklusive Verwaltungs- und Personalkosten der Bundesagentur für Arbeit, beläuft sich auf 58,2 Mrd. Euro.

Zum Vergleich: Allein die Kranken- und Pflegeversicherung summiert sich auf rund 735,6 Mrd. Euro.

Wer also nur die schlagzeilenträchtigen Einzelposten zitiert, verzerrt bewusst das Gesamtbild. Jeder kann sich davon selbst überzeugen – die Haushaltszahlen sind online einsehbar.

Noch wichtiger ist jedoch die Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP):

  • 2010 betrugen die Ausgaben für die damalige „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ noch 1,8 % des BIP.
  • 2024 liegt dieser Anteil nur noch bei 1,3 % des BIP.

Insgesamt sind die Sozialausgaben zwischen 2010 und 2024 von 5,8 % auf 4,1 % des BIP gesunken. Der Löwenanteil entfällt heute – wie damals – auf Gesundheit, Rente und Pflege.

Das bedeutet: Zuwanderung führt in der Mehrzahl der Fälle zur Arbeitsaufnahme, trägt langfristig zum System bei und stabilisiert es finanziell. Das Bürgergeld ist weder ein „Kosten-Tsunami“ noch ein „Anreiz zur Faulheit“ – es ist ein Instrument, das gezielt wirkt und in Relation zum Gesamtetat sogar an Gewicht verloren hat.


Der brutale Arbeitsmarkt-Rechenfehler

Zählt man zusammen – Arbeitslose, erwerbsfähige Bürgergeldempfänger und Geflüchtete mit Arbeitswillen – suchen 4,5 bis 5 Millionen Menschen nach einer Perspektive. Dem stehen rund 630.000 gemeldete Stellen bei der BA gegenüber, insgesamt maximal 1,1 bis 1,2 Millionen offene Jobs.

Das Ergebnis: Millionen Menschen bleiben chancenlos, selbst wenn sie arbeiten wollen. Und: Die meisten offenen Stellen sind Fachkraftpositionen – für die man Jahre an Ausbildung und Erfahrung benötigt. Sie lassen sich nicht durch Sanktionen besetzen.


Das CDU-Narrativ: Härter sanktionieren

Die CDU fordert dennoch schärfere Sanktionen. Friedrich Merz sprach sogar von „Sanktionen bis zur Nulllinie“. Gemeint sind die sogenannten „Totalverweigerer“. Doch deren Zahl liegt bei gerade einmal 16.000 Menschen – das entspricht 0,4 Prozent der erwerbsfähigen Bürgergeldbeziehenden.

Selbst wenn man alle morgen zwingen würde zu arbeiten: Weder wäre der Fachkräftemangel gelöst noch die Wirtschaft gerettet.


Die Lüge, die bleibt

Die bittere Wahrheit: Selbst wenn alle Geflüchteten sofort integriert wären, alle Bürgergeldbeziehenden uneingeschränkt arbeiten könnten – es bliebe ein massiver Überschuss an Menschen ohne Stelle.

Die CDU dreht den Spieß um: Nicht das System ist das Problem, sondern der Mensch. Nicht fehlende Stellen, sondern vermeintliche Faulheit. Nicht strukturelle Hürden, sondern eine angebliche „soziale Hängematte“.

Das ist keine Politik. Das ist bewusste Täuschung.


Der eigentliche Skandal

Die eigentliche Frage lautet: Warum funktioniert unser System so schlecht, dass Millionen arbeiten wollen – aber nicht dürfen?

Statt in Bildung, Ausbildung und Integration zu investieren, schiebt man Betroffenen den schwarzen Peter zu. Statt Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, ihre Fachkräfte selbst auszubilden, wird mit Stigmatisierungen Politik gemacht.

Wer Bürgergeldempfänger pauschal als faul bezeichnet, tritt nicht nach oben, sondern nach unten – auf Menschen, die ohnehin schon kämpfen.

Es ist höchste Zeit, diese Lüge zu beenden. Mit Fakten. Mit Haltung. Und mit einer ehrlichen Politik.


Quellen (Stand September 2025)

  • Bundesagentur für Arbeit, Statistik „Arbeitslosigkeit & gemeldete Stellen“
  • Deutschlandfunk, „Bürgergeld: Vorurteile und Fakten“
  • Süddeutsche Zeitung / Südwest-Presse, „Wie viele Menschen beziehen Bürgergeld?“
  • IAB-Forum, „Arbeitskräftebedarf 2025“
  • Welt, „Sanktionen bei Bürgergeld – Zahlen und Hintergründe“

Meinung – Sozialstaat: Mythen, Zahlen und Reformbedarf

Kaum ein politisches Thema wird derzeit so hitzig diskutiert wie die Frage nach der Finanzierbarkeit unseres Sozialstaates. Schlagzeilen über einen angeblich „nicht mehr tragbaren“ Sozialetat prägen die Debatte. Doch ein Blick in die offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigt ein deutlich differenzierteres Bild.

Der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt aktuell 5,53 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 lag dieser Wert sogar leicht höher bei 5,64 Prozent. Von einer eskalierenden Belastung der Gesamtwirtschaft durch den Sozialstaat kann also keine Rede sein. Der prozentuale Aufwand ist rückläufig – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung.


Die wahren Kostentreiber

Oft wird das Bürgergeld in der politischen Diskussion zum Hauptproblem stilisiert. Tatsächlich macht es jedoch nur rund 58,2 Milliarden Euro aus – also weniger als 8 Prozent der Sozialausgaben.

Die eigentlichen Kostenschwerpunkte liegen in zwei anderen Bereichen:

  • Gesetzliche Krankenversicherung (GKV): 326,6 Milliarden Euro
  • Rentenversicherung: 409,4 Milliarden Euro

Besonders im Gesundheitswesen wurden Reformen in den vergangenen Jahren versäumt. Hinzu kommt die problematische Entscheidung des früheren Gesundheitsministers Jens Spahn, die Krankenkassen dazu zu verpflichten, ihre Rücklagen weitgehend aufzubrauchen – ein Schritt, der die finanzielle Stabilität des Systems langfristig geschwächt hat.


Polemik um Sanktionen und Migration

Ein weiterer wiederkehrender Streitpunkt ist die angebliche fehlende Sanktionierung von Bürgergeld-Beziehern und der Einfluss von Einwanderung auf den Sozialstaat. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache:

  • Von den insgesamt Beziehenden des Bürgergeldes gibt es nur ca. 18.000 Totalverweigerer, die größtenteils deutscher Abstammung sind.
  • Etwa 15.000 Menschen mit Migrationshintergrund befinden sich in Sprachkursen oder auf Arbeitssuche – und tragen aktiv zur Integration und Arbeitsmarktteilhabe bei.

Die Polemik, Migration oder fehlende Sanktionen seien Hauptursachen für die Belastung des Sozialstaats, ist sachlich falsch und verzerrt das Bild.


Notwendige Reformen im Gesundheitswesen

Ein zentraler Hebel zur Stabilisierung wäre die Einführung einer Bürgerversicherung für alle. Das heutige Zwei-Klassen-System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung führt zu Ungleichheiten und strukturellen Defiziten.

Ein modernes Modell könnte so aussehen:

  • Alle Bürger zahlen in eine einheitliche Versicherung ein.
  • Höhere Einkommen erhalten die Möglichkeit, sich durch Zusatzversicherungen auf das Niveau der heutigen PKV abzusichern – sofern sie dies wünschen.

Das würde das Solidarsystem breiter aufstellen und zugleich eine gerechtere Lastenverteilung ermöglichen.


Rentensystem: Integration statt Sonderregeln

Auch die Rentenversicherung bedarf grundlegender Reformen.

  • Die Integration der Pensionskassen in die gesetzliche Rentenversicherung würde das System erheblich stabilisieren.
  • Zudem sollten auch Beamte Rentenbeiträge zahlen – zumindest anteilig –, um eine faire Lastenverteilung zu gewährleisten.

Gerechte Steuerpolitik als Schlüssel

Eine echte Stabilisierung des Sozialstaats gelingt jedoch nur, wenn auch die Steuerpolitik angepasst wird. Hier bestehen erhebliche Ungerechtigkeiten:

  • Arbeitnehmer zahlen im Schnitt bis zu 42 Prozent Einkommensteuer, während Vermögende im Mittel nur etwa 25 Prozent auf ihre Kapitalerträge leisten.
  • Der Spitzensteuersatz sollte nicht – wie von der SPD vorgeschlagen – bereits ab 70.000 Euro Jahreseinkommen greifen. Sinnvoll wäre eine Erhöhung um mindestens 5 Prozentpunkte erst ab 125.000 oder 150.000 Euro Jahreseinkommen, womit der Satz bei 47 Prozent läge.

Zum Vergleich: Unter der konservativen Regierung Helmut Kohls lag der Spitzensteuersatz bei 52 Prozent – und gleichzeitig wurden Vermögen deutlich gerechter besteuert. Von einer „Überbelastung“ kann also historisch betrachtet keine Rede sein.


Fazit

Die Debatte um den „nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat“ ist in großen Teilen eine Scheindebatte. Nicht das Bürgergeld oder die Sozialhilfeleistungen sind das Problem, sondern ein Reformstau in den großen Systemen Krankenversicherung und Rente – kombiniert mit einer Steuerpolitik, die Vermögen schont und Arbeit überproportional belastet.

Ein nachhaltiger, stabiler Sozialstaat braucht daher:

  1. Bürgerversicherung statt Zwei-Klassen-Medizin
  2. Integration der Pensionen in die Rentenversicherung
  3. Faire Besteuerung von Vermögen und hohen Einkommen

So ließe sich der Sozialstaat langfristig finanzierbar, gerecht und zukunftsfest gestalten – und das weit entfernt von Panikmache und falschen Schlagworten.

Meinung – DDR war kein Sozialismus, sondern Parteidiktatur

Aktuell geht ein Zitat von Heidi Reichinek viral – häufig aus dem Kontext gerissen und gezielt von Mitgliedern demokratischer Parteien oder deren Anhängern verwendet. Dieses Verhalten ist unlauter, schadet der Demokratie und ist Demokrat:innen unwürdig. Inhalte und Aussagen bewusst zu verfälschen, um politische Stimmung zu erzeugen oder persönliche Vorteile zu erzielen, untergräbt das Vertrauen in den politischen Diskurs und widerspricht den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft.

Heidi Reichinek hat in einem Interview zutreffend darauf hingewiesen: Die DDR war kein reiner Sozialismus – und schon gar nicht ein demokratischer Sozialismus, wie ihn Parteien wie die SPD oder Die Linke nach ihrer Aufarbeitung heute als Zielbild vertreten.

Tatsächlich handelte es sich bei der DDR um eine Ein-Parteidiktatur, nicht um eine Arbeiterdemokratie. Die SED war keine Vertretung der Arbeiterschaft, sondern eine Herrschaftspartei. Betriebsräte oder echte Formen von Arbeiterkontrolle existierten nicht – sämtliche Beschlüsse kamen von oben. Genau das widerspricht dem Grundprinzip demokratischer Selbstverwaltung.

Staatskapitalismus statt Sozialismus

Der Sozialismus soll eigentlich Freiheit, Gleichheit und Selbstentfaltung ermöglichen. Die Realität in der DDR sah jedoch anders aus:

  • Ein Sicherheitsstaat mit Stasi, Zensur, politischer Verfolgung und Mauerbau.
  • Eine privilegierte Elite mit Zugang zu besseren Wohnungen, Westwaren und Auslandsreisen.
  • Eine Mehrheit, die unter Mangelwirtschaft und eingeschränkten Freiheitsrechten litt.

Das ist das Gegenteil von sozialistischer Befreiung. Sozialismus strebt Gleichheit an – die DDR schuf stattdessen eine neue herrschende Klasse.

Theoretische und historische Einordnung

Nach marxistischer Theorie war die DDR keine Selbstherrschaft der Arbeiterklasse, sondern eine bürokratische Diktatur über sie. Historiker und Politikwissenschaftler wie Wolfgang Leonhard, Ernst Nolte oder Gerd Koenen sprechen deshalb von Staatssozialismus oder bürokratischem Etatismus – aber nicht von echtem Sozialismus.

Auch linke Kritiker wie Leo Trotzki oder Rosa Luxemburg betonten, dass Bürokratie und Zwang Verrat an sozialistischen Prinzipien sind. Die DDR bestätigt genau diese Kritik.

Subjektive Erfahrung vs. Analyse

Viele ehemalige DDR-Bürger verweisen auf positive Alltagserfahrungen („Jeder hatte Arbeit“, „Es gab keine Obdachlosen“, „Alles war billiger“). Diese Sichtweisen sind nachvollziehbar – aber sie ersetzen keine strukturelle Analyse.

Soziale Sicherheiten gab und gibt es auch in Monarchien oder Diktaturen. Das allein macht ein System nicht zum Sozialismus. Entscheidend sind Macht- und Eigentumsverhältnisse – und diese zeigen klar: Die DDR war kein Sozialismus, sondern eine Parteidiktatur mit staatskapitalistischen Zügen.

Demokratischer Sozialismus heute – klare Abkehr von der SED

Der demokratische Sozialismus, wie er im Grundsatzprogramm der Partei Die Linke und ebenso in der Programmatik der SPD verankert ist, ist nicht nur ein positives Zukunftsbild, sondern auch eine bewusste Abgrenzung von der Geschichte.

Die Linke hat sich von den Strukturen und Praktiken der SED seit mehr als 25 Jahren eindeutig verabschiedet. Die Erfahrung der SED-Diktatur ist dabei nicht nur ein Teil der eigenen Aufarbeitung, sondern auch eine Mahnung – so wie das Dritte Reich eine gesamtgesellschaftliche Mahnung ist.

Beides – nationalsozialistische Diktatur wie auch die Parteidiktatur der DDR – darf sich niemals wiederholen. Demokratie lebt von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Selbstbestimmung. Diese Werte zu verteidigen, bleibt Auftrag aller Demokratinnen und Demokraten.

Fazit

Die DDR als Sozialismus zu verklären, bedeutet, Theorie und historische Fakten zu ignorieren. Nostalgische Erinnerungen oder subjektive Eindrücke können Aspekte beleuchten, ändern aber nichts an der systemischen Realität.

Die DDR war keine sozialistische Befreiungsgesellschaft, sondern eine autoritäre Herrschaftsform, die ihre Bevölkerung einschränkte und kontrollierte.
Der demokratische Sozialismus von heute hingegen ist ein Gegenentwurf – geprägt von Aufarbeitung, von der klaren Abkehr von autoritären Strukturen und von dem Auftrag: Nie wieder Diktatur.

Meinung – Die Linke: Vergangenheit bewältigt, Demokratie im Blick

Immer wieder werde ich, seit meinem Parteiwechsel, auf die Vergangenheit der Die Linke angesprochen: SED, PDS, ehemalige Funktionäre – solche Schlagworte begegnen mir im Gespräch, und die Hälfte der Zeit steckt in ihnen ein unterschwelliger Vorwurf: „Ist die Linke noch dieselbe wie damals?“

Die ehrliche Antwort ist: Nein – und das ist gut so.

Vergangenheit als Mahnung

Die Linke hat ihre Wurzeln in der PDS, die wiederum aus der SED hervorging. Diese Geschichte lässt sich nicht leugnen – und das sollte man auch nicht. Sie dient als Mahnung: Anti-demokratische Strömungen dürfen niemals wieder Fuß fassen – weder von rechts, noch von links. Aber gleichzeitig zeigt die Entwicklung der Partei seit den 1990er Jahren, dass Reform möglich ist. Die PDS und später Die Linke haben sich klar von den autoritären Strukturen der SED gelöst. Heute spielen ehemalige SED-Funktionäre keine Rolle mehr – oft sind sie in andere Parteien abgewandert. Die Linke ist offen, pluralistisch und demokratisch organisiert.

Demokratischer Sozialismus als Leitidee

Die heutige Linke ist Partei des demokratischen Sozialismus – einer Form des Sozialismus, die auf Freiheit, Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit setzt. Dieser Gedanke ist in Deutschland nicht neu: Er wurde lange von der SPD unter Willy Brandt geprägt. Nun findet er sich in der Linken wieder – modern, reflektiert und zukunftsorientiert.

Erneuerung durch Vielfalt

Ein entscheidender wichtiger Schritt war der Parteitag 2022: Dort hat Die Linke eine deutliche Abkehr von Russland vollzogen. Während zuvor Teile der Partei noch ambivalent auf die geopolitische Rolle Moskaus blickten, wurde hier ein klarer Bruch vollzogen – ein Bekenntnis zu Frieden, Völkerrecht und Demokratie.

Auch die Haltung zur NATO wurde neu ausgerichtet: Zwar sieht Die Linke das Bündnis weiterhin als reformbedürftig an, doch gleichzeitig wurde seine Notwendigkeit und sein Wert ausdrücklich anerkannt. Diese differenzierte Haltung steht für Realismus und Verantwortungsbewusstsein in der Außenpolitik.

Beides – die klare Abwendung von Russland und die Neubewertung der NATO – hat dazu geführt, dass sich die extreme Linke, pro-russische und teilweise nationalistisch geprägte, Strömung innerhalb der Partei abgespalten hat. Mit dem neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat sich diese Richtung bewusst außerhalb der Linken positioniert. Auch das zeigt: Die Linke entwickelt sich weiter – hin zu einer demokratischen, modernen linken Partei, die sich bewusst gegen autoritäre wie nationalistische Tendenzen stellt.

Sicherlich ein weiterer Faktor für die Erneuerung der Partei war und ist die Zuwanderung von Mitgliedern aus SPD und Grünen. Sie bringen neue Ideen, Perspektiven und Erfahrungen ein, die die Partei noch demokratischer und pluralistischer machen. So ist die Partei heute ein Raum, in dem gesellschaftliche Vielfalt, Generationenmix und unterschiedliche politische Erfahrungen zusammenfinden.

Zukunft als Chance

Die Programmatik der Linken spiegelt diese demokratische Ausrichtung wider: Chancengleichheit, soziale Sicherheit, Klimaschutz, faire Bildung und eine gerechtere Verteilung von Vermögen stehen im Zentrum. Diese Positionen unterscheiden sich klar von autoritären oder zentralistischen Ansätzen der Vergangenheit – sie sind praktische Umsetzung demokratischen Sozialismus.

Für mich persönlich ist Die Linke heute vor allem eine Mahnung und eine Chance zugleich. Mahnung, weil sie uns an die Gefahren erinnert, wenn Demokratie untergraben wird. Chance, weil sie zeigt, dass Reform, Pluralismus und Engagement die politische Landschaft nachhaltig prägen können.

Die Vergangenheit der Partei ist also kein Makel, sondern ein Fundament, auf dem eine demokratische, soziale und gerechte Politik aufgebaut wird – eine Politik, die wir gemeinsam weitertragen müssen.

Meinung – Reden miteinander statt übereinander

Bundeskanzler Friedrich Merz trifft sich bereits zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit den Spitzen der CDU/CSU-Fraktion zu sogenannten „Krisengesprächen“. Der Anlass: Die anhaltenden Spannungen innerhalb der Regierungskoalition und die Frage, wie man sich strategisch gegenüber den Partnern – vor allem der SPD – positioniert. Offiziell geht es also um die Stabilität der Regierung und die Zusammenarbeit innerhalb der Koalition. Doch der Eindruck, der entsteht, ist ein anderer: Es wird weniger über politische Lösungen gesprochen, sondern vielmehr über Koalitionspartner, Koalitionsvertrag und Machtfragen.

Gerade in einer Zeit multipler Krisen ist das problematisch. Denn wer permanent den Koalitionsvertrag infrage stellt oder die Partner öffentlich kritisiert, beschädigt das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Demokratie lebt von Verlässlichkeit – und diese entsteht durch den Willen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, nicht durch taktisches Lavieren.


Koalition heißt Ausgleich – nicht einseitige Umsetzung

Eine Koalition ist immer ein Bündnis auf Zeit, getragen von Kompromissen. Das bedeutet: Alle Partner müssen auch Rückschläge und Abstriche akzeptieren. Doch in der aktuellen Regierungsarbeit zeigt sich ein Ungleichgewicht. Während zahlreiche sozialpolitische Projekte der SPD, die fest im Koalitionsvertrag verankert waren, zurückgestellt oder gestrichen wurden, fanden konservative Vorhaben durchaus ihren Weg in die Umsetzung, wie etwa Verschärfungen in der Migrationspolitik oder restriktive Haushaltsdisziplin.

Wer in einer Koalition ernsthaft „gegensteuern“ will, muss auch bereit sein, Zugeständnisse zu machen und den Partnern politische Erfolge zu ermöglichen. Nur so entsteht Vertrauen, nur so kann ein gemeinsamer Weg gefunden werden. Das gilt insbesondere im Verhältnis zur SPD, die zuletzt den größeren Teil der Kompromisse getragen hat.


Sozialkürzungen sind Symbolpolitik

Besonders deutlich wird die Schieflage beim Thema Sozialpolitik. Immer wieder werden Kürzungen bei den Sozialleistungen gefordert. Dabei lohnt sich ein Blick auf die Zahlen: Nur etwa 8 Prozent des Sozialetats entfallen auf Leistungen, die direkt gekürzt werden könnten. Wer hier den Rotstift ansetzt, verschiebt Zahlen, löst aber keine strukturellen Probleme.

Die eigentliche Herausforderung liegt in den 92 Prozent, die durch Rentenzahlungen und das Gesundheitssystem gebunden sind. Diese Bereiche sind seit Jahren reformbedürftig:

  • Rente: Der demografische Wandel gefährdet die Finanzierbarkeit des Systems. Ohne grundlegende Reformen drohen steigende Beiträge und sinkende Leistungen.
  • Gesundheit: Kostensteigerungen, Fachkräftemangel und eine überlastete Pflegebranche verlangen nach strukturellen Antworten – nicht nach kurzfristigen Sparmaßnahmen.

Ironischerweise sind es gerade Entscheidungen aus der Vergangenheit, wie die von der CDU durchgesetzte Mütterrente, die zusätzliche Belastungen für die Rentenkasse geschaffen haben. Gesellschaftspolitisch nachvollziehbar, finanziell aber langfristig problematisch.


Demokratie braucht Verantwortungsbereitschaft

Eine Regierung kann nur dann erfolgreich arbeiten, wenn sie nicht in ständigen Machtfragen verharrt, sondern das gemeinsame Ziel in den Vordergrund stellt. Wer Koalitionspartner kleinredet oder Koalitionsverträge einseitig interpretiert, schwächt die Handlungsfähigkeit des gesamten Bündnisses – und schadet damit letztlich der Demokratie.

Es ist höchste Zeit, das Gesprächsklima innerhalb der Koalition zu verbessern. Statt auf Polarisierung zu setzen und Koalitionspartner öffentlich in Frage zu stellen, braucht es den ehrlichen Willen zum Miteinander. Wer nur das eigene Profil schärfen möchte, schwächt am Ende die Handlungsfähigkeit der gesamten Regierung – und damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie.

Statt auf Symbolpolitik zu setzen, braucht es daher den Mut zu echten Reformen. Und statt kurzfristiger Profilierung sollte das langfristige Wohl des Landes den Maßstab politischen Handelns bilden.

100 Tage Schwarz-Rot – oder: Schwarz mit rotem Zierstreifen

Nach 100 Tagen dieser sogenannten „Schwarz-Roten“ Koalition muss man wohl ehrlicherweise sagen: Es handelt sich um eine schwarze Koalition mit rotem Zierstreifen.

Die SPD ist nicht nur inhaltlich in der Defensive, sie hat bereits mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zentrale Grundsätze wie Menschenrechte, Humanität und soziale Gerechtigkeit zur Disposition gestellt.
Heute – nur drei Monate später – trägt sie aktiv Sozialabbau mit und lässt sich in Fragen der demokratischen Kultur und Rechtsstaatlichkeit vom Trumpismus Einiger in der Union treiben, etwa bei der Besetzung der Richterposten am Bundesverfassungsgericht.


Versprechen gebrochen – noch bevor sie begonnen haben

Der Koalitionsvertrag enthielt klare Zusagen an die SPD, die für viele Mitglieder und Wählerinnen entscheidend waren. Nur 100 Tage später sind diese bereits gestrichen oder auf unbestimmte Zeit vertagt:

  • Einführung eines Mindestlohns von 15 Euro
  • Einkommenssteuerreform für kleine und mittlere Einkommen
  • Entlastung bei der Stromsteuer für Privatpersonen
  • Wiedereinführung der Vermögenssteuer
  • Reform der Erbschaftssteuer
  • Erhöhung des Spitzensteuersatzes
  • Rentenreform
  • Vorschlag für Neubesetzung beim Bundesverfassungsgericht

Diese Punkte waren nicht nur Wahlversprechen, sondern auch klare soziale Korrekturen, die der SPD ihre politische Rechtfertigung in dieser Koalition geben sollten. Sie sind nun Makulatur.


Rückschritte statt Fortschritt

Während zentrale sozialdemokratische Vorhaben gestrichen wurden, hat die SPD zahlreiche rückwärtsgewandte und teils klar lobbyfreundliche Projekte der Union klaglos mitgetragen – ohne nennenswerte Gegenwehr:

  • Senkung der Unternehmenssteuer
  • Einführung der sogenannten „Mütterrente“
  • Steuernachlass für Restaurantbesuche
  • Verschärfte Sanktionen beim Bürgergeld
  • Subventionen für Agrardiesel
  • Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze
  • Aussetzung des Familiennachzugs
  • Drastische Kürzungen bei der humanitären Hilfe
  • Billigere Flüge, teureres Bahnfahren

Diese Liste ist ein politisches Bekenntnis – allerdings kein sozialdemokratisches, sondern ein wirtschafts- und ordnungspolitisches Programm nach Unionsvorstellung.


Sozialstaat in der Abwärtsspirale

Verbleibt die SPD in dieser Koalition, wird am Ende von ihren sozialen Wurzeln kaum mehr etwas übrig sein.

Statt gegen den Umbau des Sozialstaates zugunsten der Starken und zulasten der Schwachen zu kämpfen, macht sie sich mitschuldig an dieser Entwicklung.
Die Rolle der SPD in dieser Regierung ist nicht die eines gleichberechtigten Partners, sondern die eines stillen Erfüllungsgehilfen.


Der Austritt aus der SPD war für mich eine bittere Entscheidung – aber diese 100-Tage-Bilanz bestätigt, dass er notwendig war. Wer soziale Gerechtigkeit, Humanität und Menschenrechte ernst nimmt, darf nicht Teil einer Partei sein, welche diese Werte in einer Regierung nicht nur vernachlässigt, sondern aktiv untergräbt.

Meinung – Effektivität muss Vorrang vor Effizienz haben.

In der politischen Diskussion fällt mir immer wieder auf: Es wird viel zu oft von Effizienzsteigerung und viel zu selten von Effektivitätssteigerung gesprochen. Das ist mehr als eine sprachliche Feinheit – es ist ein grundlegender Unterschied in der Denkrichtung und der Wirkung politischer Entscheidungen.

Effizienzsteigerung heißt in der Praxis: mit weniger Mitteln den gleichen Output erzielen. Klingt zunächst vernünftig, entpuppt sich in der Realität aber meist als Sparmaßnahme, die Prozesse verkürzt, Leistungen kürzt oder Standards absenkt. Für öffentliche Haushalte bedeutet das schlicht: weniger Angebote, weniger Qualität, weniger Wirkung. Die Leidtragenden sind in der Regel die unteren und mittleren Einkommen, die mit weniger Unterstützung auskommen müssen, während gleichzeitig Belastungen steigen.

Effektivitätssteigerung hingegen bedeutet: die richtigen Dinge tun – also Maßnahmen und Ausgaben so gestalten, dass sie tatsächlich den größten Nutzen bringen. Das kann heißen, bestehende Mittel anders einzusetzen, Prioritäten neu zu setzen oder Strukturen so zu verändern, dass der Output gesellschaftlich relevanter und nachhaltiger wird.

Auffällig ist dabei: Insbesondere konservative Parteien sprechen in der Regel von Effizienzsteigerung – was ihrem Fokus auf Haushaltsdisziplin und Ausgabenkürzungen entspricht. Progressive Parteien links der Mitte hingegen verknüpfen ihre Reformvorschläge häufiger mit dem Gedanken der Effektivitätssteigerung – also einer gezielten, wirksameren Nutzung der vorhandenen und zusätzlich zu erschließenden Mittel.


Priorität: Effektivität steigern – nicht Leistungen kürzen

Damit unsere Gesellschaft handlungsfähig bleibt, müssen wir über alle politischen Ebenen hinweg die Effektivitätssteigerung zur Priorität machen. Das heißt konkret:

  • Sinnvolle Umverteilung der Mittel statt pauschalem Kürzen
  • Wiedereinführung der Vermögenssteuer
  • Erhöhung des Spitzensteuersatzes bspw. auf das Niveau wie unter Helmut Kohl

Die zusätzliche Einnahmen kann man dann gezielt für Entlastung der unteren Einkommen und Investitionen nutzen. Dies sichert nicht nur die Finanzierbarkeit des Systems sondern schafft auch den notwendigen Spielraum, um die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen zu schließen.


LEAN-Prinzip auch in der Politik nutzen

Das LEAN-Prinzip – Verschwendung vermeiden, aber den Kernprozess stärken – lässt sich ebenfalls hervorragend auf politische Haushalte übertragen:

Nicht überall den Rotstift ansetzen, sondern gezielt dort investieren, wo der gesellschaftliche Nutzen am größten ist. So entstehen zusätzliche Spielräume für Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Digitalisierung und soziale Sicherheit.


Warum Effizienzsteigerung die falsche Antwort ist

Effizienzsteigerung klingt harmlos, ist in der Praxis aber häufig nur ein anderes Wort für „Sparen“. Und sparen bedeutet im öffentlichen Bereich fast immer: weniger Personal, weniger Leistung, weniger Qualität. Die Folge: Menschen arbeiten länger, verdienen real weniger und der gesellschaftliche Zusammenhalt leidet.

Wir müssen uns ehrlich machen: Nur durch kluge Effektivitätssteigerung und gerechte Einnahmenpolitik können wir ein leistungsfähiges, solidarisches und zukunftsfähiges Gemeinwesen sichern. Alles andere ist kurzfristiges Stückwerk, das langfristig mehr kostet, als es einspart.


Politik braucht den Mut, nicht nur laienhaft an den Prozessen herumzuschrauben, sondern die richtigen Dinge zu tun – und diese ausreichend zu finanzieren.
Das erfordert Entscheidungen, die nicht jedem gefallen werden, aber dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft in zehn, zwanzig und dreißig Jahren noch funktioniert.

Meinung – Ein Warnsignal für Demokratie und Rechtsstaat

Der Rückzug von Prof. Dr. Brosius-Gersdorf als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht (vgl. Brosius-Gersdorf zieht Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurück | tagesschau.de) ist mehr als ein persönlicher Schritt – es ist ein alarmierendes Signal für den Zustand unserer politischen Kultur. Was eigentlich ein überparteilicher, stiller und würdevoller Vorgang sein sollte, wurde in den vergangenen Tagen zur Bühne parteipolitischer Profilierung. Der Preis: die Glaubwürdigkeit des höchsten Gerichts, das Vertrauen in demokratische Verfahren – und nicht zuletzt das politische Standing der SPD.

Dass die CDU in dieser Frage die Eskalationslogik der FDP übernimmt, überrascht leider nicht mehr. Dieses Spiel kennen wir bereits aus der Zeit der Ampel: Lautstark blockieren, diskreditieren, drohen – statt sachlich zu verhandeln. Der Bruch der Ampel-Koalition in Berlin wurde mit genau dieser Taktik vorbereitet. Nun wird dieselbe Strategie auch in der neuen Regierung angewandt, diesmal durch die CDU/CSU, auf dem Rücken einer herausragenden Juristin und – schlimmer noch – auf Kosten der Unabhängigkeit unserer Verfassungsgerichtsbarkeit.

Besonders bitter: Die SPD hat in den letzten Monaten mehrfach CDU-Positionen mitgetragen, insbesondere bei sicherheitspolitischen und migrationsbezogenen Fragen, die klar im Koalitionsvertrag verankert sind. Kompromisse wurden gemacht – oft schmerzhaft, aber im Sinne der Regierungsfähigkeit. Doch während man der CDU/CSU in zentralen Punkten weit entgegenkam, fällt nun ein weiterer wichtiger sozialpolitischer Impuls hinten über. Ein ausgewogenes, progressives Gegengewicht im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts wird damit leichtfertig verspielt.

Die öffentliche Demontage von Brosius-Gersdorf – angestoßen und zugespitzt durch Stimmen vom rechten Rand der CDU wie Saskia Ludwig – ist ein Dammbruch. Verfassungsrichterwahlen waren bislang geprägt von Zurückhaltung, gegenseitigem Respekt und dem Bewusstsein für die Bedeutung dieser Institution. Mit der Skandalisierung und gezielten Diskreditierung einer Kandidatin ist eine rote Linie überschritten worden. Der Schaden ist immens – juristisch, politisch und gesellschaftlich.

Besonders befremdlich wirkt es dabei, dass ausgerechnet Saskia Ludwig, die in der Causa Brosius-Gersdorf öffentlich mit moralischen Maßstäben hantierte, nun selbst mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert ist. Ihre Forderung nach Integrität und Rechtschaffenheit scheint sie bei sich selbst nicht anzulegen. Dieses Maß zweierlei Maß untergräbt nicht nur die Glaubwürdigkeit ihrer Argumentation – es beschädigt auch den politischen Diskurs insgesamt noch zusätzlich. Wer den moralischen Zeigefinger erhebt, sollte sicher sein, dass die eigene akademische und politische Biografie diesen Ansprüchen standhält.

Auch dass sich eine anerkannte Verfassungsrechtlerin unter diesem Druck zurückzieht, ist Ausdruck eines toxischen Klimas, das sich in unserer politischen Mitte ausbreitet. Wer künftig bereit sein soll, Verantwortung in zentralen Institutionen zu übernehmen, muss sich fragen: Ist der Preis der öffentlichen Hetze es noch wert?

Die Hoffnung, dass es sich bei diesem Vorgang um einen einmaligen Ausreißer handelt, ist durch die Entwicklungen der vergangenen Wochen nicht nur getrübt, sondern tief erschüttert. Es braucht jetzt mehr als bloßes Hoffen: Es braucht entschlossenes politisches Handeln. Die demokratischen Parteien – insbesondere die CDU/CSU und Kanzler Merz – sind gefordert, gemeinsam und mit Haltung dafür einzutreten, dass die zentralen Institutionen unseres Rechtsstaats – allen voran das Bundesverfassungsgericht – nicht länger parteitaktischen Kalkülen geopfert werden.

Erschwerend hinzu kommt die Causa Jens Spahn, der sich selbst schwersten – meiner Meinung nach berechtigten – Vorwürfen ausgesetzt sieht, und dem über 70 Prozent der Unionswählenden nicht mehr zutrauen, die Fraktion glaubwürdig zu führen. Dieses wackelnde Kartenhaus gefährdet nicht nur die Stabilität der Union und damit der Koalition, sondern ebnet zugleich anti-demokratischen Parteien weiter den Weg zu mehr Macht.

Meinung – Zeit für klare Haltung

Deutschland steht – nicht erst seit heute – am Scheideweg. Die demokratische Ordnung, wie wir sie kennen und schätzen, wird zunehmend durch rechtsextreme Kräfte untergraben – allen voran durch die A*D. Zugleich verlieren linke Parteien in ihrer Breite zunehmend an Klarheit und Geschlossenheit, während die gesellschaftliche Polarisierung zunimmt. Beides gefährdet unsere freiheitliche Grundordnung. Die Antwort darauf muss zweigleisig erfolgen: erstens mit einem klaren rechtlichen und politischen Signal durch ein A*D-Verbot – und zweitens mit dem Mut zu einem neuen progressiven Bündnis links der Mitte.


Ein A*D-Verbot: Kein einfacher Schritt – aber ein notwendiger

Die Debatte über ein mögliches Verbot der A*D ist nicht neu, gewinnt jedoch angesichts der jüngsten Enthüllungen über Verbindungen zu extremistischen Netzwerken, völkischen Plänen und antidemokratischen Umtrieben neue Dringlichkeit. Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes gibt dem Staat die Möglichkeit, Parteien zu verbieten, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Dieses „scharfe Schwert“ wurde nicht leichtfertig ins Grundgesetz geschrieben – es ist eine Lehre aus der dunkelsten Epoche unserer Geschichte.

Ein Parteiverbot ist kein Instrument gegen unbequeme Meinungen, sondern gegen Kräfte, die systematisch unsere Demokratie aushöhlen wollen. Die A*D steht für Rassismus, völkischen Nationalismus und die gezielte Spaltung der Gesellschaft. Ihre Rhetorik normalisiert menschenverachtende Positionen und bereitet ideologisch den Boden für demokratiefeindliche Bestrebungen – auch außerhalb der Parlamente. Ein Verbot wäre kein Akt der Schwäche, sondern ein Zeichen der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie.


Ohne klares Profil wird linke Politik bedeutungslos

Während sich die politische Rechte radikalisiert, verliert die politische Linke zunehmend an Kontur. Die SPD kämpft nach Jahren des Drittwegs und der Großen Koalitionen mit einem massiven Vertrauensverlust. Auch die Grünen scheinen, zumindest in Teilen, ihr linkes Profil aufzugeben – etwa durch Kompromisse in der Klimapolitik oder migrationspolitische Anpassungen an den politischen Mainstream.

Dabei ist gerade jetzt ein klares linkes Profil wichtiger denn je. In einem Facebook-Post habe ich dazu geschrieben:

„Wenn die Grünen ihr linkes Profil aufgeben, riskieren sie ihre politische Identität und Glaubwürdigkeit – wie es auch der SPD aktuell widerfährt. […] Gerade in Zeiten wachsender Ungleichheit und gesellschaftlicher Polarisierung braucht es diese Partei in ihren Ursprüngen, die konsequent für Klimaschutz und soziale Fairness eintritt.“

Ein progressives linkes Bündnis kann nur dann glaubwürdig sein, wenn alle beteiligten Parteien ihre inhaltlichen Grundüberzeugungen wieder schärfen – und daraus ein gemeinsames Zukunftsprojekt entwickeln. Dafür braucht es Mut zur Haltung, zur Abgrenzung von rechts – aber auch zur Selbstkritik und Erneuerung innerhalb der eigenen Reihen.


Die Chance eines linken Bündnisses nach einem A*D-Verbot

Ein mögliches A*D-Verbot würde nicht nur eine gefährliche antidemokratische Kraft aus den Parlamenten entfernen – es hätte auch weitreichende strategische Auswirkungen auf das politische Kräfteverhältnis im Land. Ohne die A*D würden Millionen Stimmen – und damit Mandate – in Teilen neu verteilt. Zwar ist nicht anzunehmen, dass all diese Stimmen ins linke Lager wandern. Doch entscheidend ist: Die Union und FDP allein würden daraus kaum automatisch Nutzen ziehen. Vielmehr ergibt sich daraus eine reale Chance für ein progressives Linksbündnis, das glaubwürdig für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und eine offene Gesellschaft steht.

Die Rechnung ist einfach:

  • Ohne die A*D im Bundestag und in den Landtagen verlieren CDU/CSU und FDP ihren politischen Zerrspiegel.
  • Die Grünen, SPD und Die Linke könnten gemeinsam Mehrheiten erringen – vorausgesetzt, sie gewinnen das Vertrauen ihrer Kernwählerschaft zurück und mobilisieren die große Zahl der Nichtwähler*innen, die sich derzeit von keiner Partei vertreten fühlen.

Ein solches Bündnis muss kein rein rechnerisches sein – sondern ein echtes Projekt mit gesellschaftlicher Strahlkraft. Es muss Antworten geben auf Fragen sozialer Gerechtigkeit, auf die Herausforderungen der Transformation, auf Klimaschutz, auf Bildung und auf die Stärkung unserer Demokratie – ohne sich dabei vom rechten Diskurs treiben zu lassen.

Beispiel Niederlande: Gemeinsam stark gegen Rechts

Ein Blick in die Niederlande zeigt, wie ein solches linkes Bündnis funktionieren kann: Dort haben sich die sozialdemokratische Partei (PvdA) und die Grünen (GroenLinks) zu einer gemeinsamen progressiven Kraft zusammengeschlossen. Diese Fusion, getragen von breiter Zustimmung aus der Mitgliedschaft, entstand aus dem Willen heraus, sozialen Ausgleich, ökologische Verantwortung und demokratische Werte geschlossen zu vertreten – in klarer Abgrenzung zur rechtspopulistischen PVV von Geert Wilders.

Diese neue Allianz wurde bereits bei der Europawahl stärkste Kraft des Landes und konnte viele wählende Linke mobilisieren. Der Erfolg basiert auf zwei Prinzipien: einer klaren inhaltlichen Haltung und dem Mut zur gemeinsamen strategischen Ausrichtung. Gerade in Zeiten, in denen rechte Kräfte den politischen Diskurs verschieben wollen, bietet ein geeintes linkes Lager eine glaubwürdige Alternative – mit programmatischer Tiefe, demokratischer Substanz und gesellschaftlicher Orientierung.

Deutschland kann daraus lernen: Nur wenn sich SPD, Grüne und Die Linke gemeinsam als glaubwürdige Kraft jenseits der politischen Beliebigkeit positionieren, ist eine stabile, progressive Mehrheit möglich. Das Fenster dafür ist da – es braucht nun Entschlossenheit, Vision und Zusammenarbeit.


Fazit: Demokratie verteidigen, Zukunft gestalten

Ein A*D-Verbot wäre keine Zensur, sondern ein Akt der demokratischen Selbstverteidigung. Doch dieses Verbot allein reicht nicht. Es braucht ein politisches Angebot, das mehr ist als nur Abwehr: ein Zukunftsbündnis, das soziale Sicherheit, ökologische Verantwortung und gesellschaftlichen Zusammenhalt neu denkt. Die Kräfte links der Mitte – SPD, Grüne, Die Linke – stehen hier in historischer Verantwortung.

Jetzt ist die Zeit für Klarheit. Für Haltung. Und für den Mut zur Zusammenarbeit.

Tausende sagen nein zu Faschismus!

4000 Menschen waren es heute allein in Langenfeld, die gegen Faschismus, Rechtsextremismus und die AfD auf die Straße gingen. 4000 Menschen, die für die Demokratie kämpfen. 4000 von vielen Tausenden im ganzen Land, die nicht mehr verstummen dürfen.

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ 

Otto, Wels (23. März 1933)

Mit diesen Worten begründete der Sozialdemokrat Otto Wels das ‚Nein‘ der SPD zum Ermächtigungsgesetz, das einen Tag später verabschiedet werden sollte. Von den 94 Sozialdemokraten, die geschlossen und als einzige Partei gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten, bezahlten 24 mit ihrem Leben. Am 22. Juni 1933 wurde die SPD schließlich durch Reichsinnenminister Wilhelm Frick als ‚volks- und staatsfeindliche Organisation‘ verboten.

Es ist nicht mehr der Anfang. Wir sind mittendrin!

‚Wehret den Anfängen!‘ war damals bereits Vergangenheit und ist es auch heute wieder. Aber es ist noch nicht zu spät für ein klares ‚Nie wieder!‘. 

Denn erneut sitzen Faschisten – hier Mitglieder der Werteunion und der AfD – in geheimen Treffen zusammen und spinnen Remigrationsphantasien mit Nazis. Remigration von Asylsuchenden, Geduldeten Zuwandernden, Zuwanderern mit Aufenthaltsgenehmigung und ’nicht assimilierten Deutschen‘. Die Rede ist, um es ganz klar zu sagen, von Deportation und politischer Verfolgung derer, die anders denken als die AfD. Darunter zählen alle Mitglieder demokratischer Parteien, die sich dem Weg der AfD nicht anzuschließen bereit sind. 

Die Demos und Kundgebungen sind nicht nur richtig, sondern auch notwendig. Faschisten dürfen nie wieder in Regierungsämter kommen – gleich wie schwer die Zeiten sind!

Ich möchte an dieser Stelle die Gedanken von Erik Flügge mit Euch und Ihnen teilen: Natürlich muss man reflektieren, woher dies kommt. Und bei aller berechtigten Kritik, muss man sich auch einmal offen eingestehen, ob die Regierungsunzufriedenheit wirklich allein an der Regierungsleistung liegt, oder ‚rein zufällig‘ gerade zeitgleich in D, F, PL, UK, den USA, in ES usw. auftritt. Glauben sie wirklich, dass sich alle Demokratien zeitgleich verwählt haben, oder sind die Krisen schlicht komplexer als sonst und damit Lösungen strukturell unbefriedigender? – Kleiner Tipp: Letzteres stimmt.

Daher wünsche ich mir als Demokrat vor allen Dingen eines: dass all die Menschen, die für die Demokratie und gegen rechtes Gedankengut auf die Straßen gehen, am Ende auch Demokraten in die Parlamente wählen – gleich wie schwer und schmerzhaft der Weg nach vorne, auch unter demokratischer Regierung, sein wird.

Unsere Botschaft an Faschisten und Rassisten sollte, in Anlehnung an Otto Wels, heute mehr denn je lauten

„Die Kommentarspalten in unseren Sozialen Medien könnt Ihr uns nehmen, aber unsere Demokratie und unsere Parlamente bekommt Ihr nicht!“

Sascha Vilz (02. Februar 2024)
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