Der Rückzug von Prof. Dr. Brosius-Gersdorf als Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht (vgl. Brosius-Gersdorf zieht Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurück | tagesschau.de) ist mehr als ein persönlicher Schritt – es ist ein alarmierendes Signal für den Zustand unserer politischen Kultur. Was eigentlich ein überparteilicher, stiller und würdevoller Vorgang sein sollte, wurde in den vergangenen Tagen zur Bühne parteipolitischer Profilierung. Der Preis: die Glaubwürdigkeit des höchsten Gerichts, das Vertrauen in demokratische Verfahren – und nicht zuletzt das politische Standing der SPD.

Dass die CDU in dieser Frage die Eskalationslogik der FDP übernimmt, überrascht leider nicht mehr. Dieses Spiel kennen wir bereits aus der Zeit der Ampel: Lautstark blockieren, diskreditieren, drohen – statt sachlich zu verhandeln. Der Bruch der Ampel-Koalition in Berlin wurde mit genau dieser Taktik vorbereitet. Nun wird dieselbe Strategie auch in der neuen Regierung angewandt, diesmal durch die CDU/CSU, auf dem Rücken einer herausragenden Juristin und – schlimmer noch – auf Kosten der Unabhängigkeit unserer Verfassungsgerichtsbarkeit.

Besonders bitter: Die SPD hat in den letzten Monaten mehrfach CDU-Positionen mitgetragen, insbesondere bei sicherheitspolitischen und migrationsbezogenen Fragen, die klar im Koalitionsvertrag verankert sind. Kompromisse wurden gemacht – oft schmerzhaft, aber im Sinne der Regierungsfähigkeit. Doch während man der CDU/CSU in zentralen Punkten weit entgegenkam, fällt nun ein weiterer wichtiger sozialpolitischer Impuls hinten über. Ein ausgewogenes, progressives Gegengewicht im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts wird damit leichtfertig verspielt.

Die öffentliche Demontage von Brosius-Gersdorf – angestoßen und zugespitzt durch Stimmen vom rechten Rand der CDU wie Saskia Ludwig – ist ein Dammbruch. Verfassungsrichterwahlen waren bislang geprägt von Zurückhaltung, gegenseitigem Respekt und dem Bewusstsein für die Bedeutung dieser Institution. Mit der Skandalisierung und gezielten Diskreditierung einer Kandidatin ist eine rote Linie überschritten worden. Der Schaden ist immens – juristisch, politisch und gesellschaftlich.

Besonders befremdlich wirkt es dabei, dass ausgerechnet Saskia Ludwig, die in der Causa Brosius-Gersdorf öffentlich mit moralischen Maßstäben hantierte, nun selbst mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert ist. Ihre Forderung nach Integrität und Rechtschaffenheit scheint sie bei sich selbst nicht anzulegen. Dieses Maß zweierlei Maß untergräbt nicht nur die Glaubwürdigkeit ihrer Argumentation – es beschädigt auch den politischen Diskurs insgesamt noch zusätzlich. Wer den moralischen Zeigefinger erhebt, sollte sicher sein, dass die eigene akademische und politische Biografie diesen Ansprüchen standhält.

Auch dass sich eine anerkannte Verfassungsrechtlerin unter diesem Druck zurückzieht, ist Ausdruck eines toxischen Klimas, das sich in unserer politischen Mitte ausbreitet. Wer künftig bereit sein soll, Verantwortung in zentralen Institutionen zu übernehmen, muss sich fragen: Ist der Preis der öffentlichen Hetze es noch wert?

Die Hoffnung, dass es sich bei diesem Vorgang um einen einmaligen Ausreißer handelt, ist durch die Entwicklungen der vergangenen Wochen nicht nur getrübt, sondern tief erschüttert. Es braucht jetzt mehr als bloßes Hoffen: Es braucht entschlossenes politisches Handeln. Die demokratischen Parteien – insbesondere die CDU/CSU und Kanzler Merz – sind gefordert, gemeinsam und mit Haltung dafür einzutreten, dass die zentralen Institutionen unseres Rechtsstaats – allen voran das Bundesverfassungsgericht – nicht länger parteitaktischen Kalkülen geopfert werden.

Erschwerend hinzu kommt die Causa Jens Spahn, der sich selbst schwersten – meiner Meinung nach berechtigten – Vorwürfen ausgesetzt sieht, und dem über 70 Prozent der Unionswählenden nicht mehr zutrauen, die Fraktion glaubwürdig zu führen. Dieses wackelnde Kartenhaus gefährdet nicht nur die Stabilität der Union und damit der Koalition, sondern ebnet zugleich anti-demokratischen Parteien weiter den Weg zu mehr Macht.