Bundeskanzler Friedrich Merz trifft sich bereits zum zweiten Mal in kurzer Zeit mit den Spitzen der CDU/CSU-Fraktion zu sogenannten „Krisengesprächen“. Der Anlass: Die anhaltenden Spannungen innerhalb der Regierungskoalition und die Frage, wie man sich strategisch gegenüber den Partnern – vor allem der SPD – positioniert. Offiziell geht es also um die Stabilität der Regierung und die Zusammenarbeit innerhalb der Koalition. Doch der Eindruck, der entsteht, ist ein anderer: Es wird weniger über politische Lösungen gesprochen, sondern vielmehr über Koalitionspartner, Koalitionsvertrag und Machtfragen.

Gerade in einer Zeit multipler Krisen ist das problematisch. Denn wer permanent den Koalitionsvertrag infrage stellt oder die Partner öffentlich kritisiert, beschädigt das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Demokratie lebt von Verlässlichkeit – und diese entsteht durch den Willen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, nicht durch taktisches Lavieren.


Koalition heißt Ausgleich – nicht einseitige Umsetzung

Eine Koalition ist immer ein Bündnis auf Zeit, getragen von Kompromissen. Das bedeutet: Alle Partner müssen auch Rückschläge und Abstriche akzeptieren. Doch in der aktuellen Regierungsarbeit zeigt sich ein Ungleichgewicht. Während zahlreiche sozialpolitische Projekte der SPD, die fest im Koalitionsvertrag verankert waren, zurückgestellt oder gestrichen wurden, fanden konservative Vorhaben durchaus ihren Weg in die Umsetzung, wie etwa Verschärfungen in der Migrationspolitik oder restriktive Haushaltsdisziplin.

Wer in einer Koalition ernsthaft „gegensteuern“ will, muss auch bereit sein, Zugeständnisse zu machen und den Partnern politische Erfolge zu ermöglichen. Nur so entsteht Vertrauen, nur so kann ein gemeinsamer Weg gefunden werden. Das gilt insbesondere im Verhältnis zur SPD, die zuletzt den größeren Teil der Kompromisse getragen hat.


Sozialkürzungen sind Symbolpolitik

Besonders deutlich wird die Schieflage beim Thema Sozialpolitik. Immer wieder werden Kürzungen bei den Sozialleistungen gefordert. Dabei lohnt sich ein Blick auf die Zahlen: Nur etwa 8 Prozent des Sozialetats entfallen auf Leistungen, die direkt gekürzt werden könnten. Wer hier den Rotstift ansetzt, verschiebt Zahlen, löst aber keine strukturellen Probleme.

Die eigentliche Herausforderung liegt in den 92 Prozent, die durch Rentenzahlungen und das Gesundheitssystem gebunden sind. Diese Bereiche sind seit Jahren reformbedürftig:

  • Rente: Der demografische Wandel gefährdet die Finanzierbarkeit des Systems. Ohne grundlegende Reformen drohen steigende Beiträge und sinkende Leistungen.
  • Gesundheit: Kostensteigerungen, Fachkräftemangel und eine überlastete Pflegebranche verlangen nach strukturellen Antworten – nicht nach kurzfristigen Sparmaßnahmen.

Ironischerweise sind es gerade Entscheidungen aus der Vergangenheit, wie die von der CDU durchgesetzte Mütterrente, die zusätzliche Belastungen für die Rentenkasse geschaffen haben. Gesellschaftspolitisch nachvollziehbar, finanziell aber langfristig problematisch.


Demokratie braucht Verantwortungsbereitschaft

Eine Regierung kann nur dann erfolgreich arbeiten, wenn sie nicht in ständigen Machtfragen verharrt, sondern das gemeinsame Ziel in den Vordergrund stellt. Wer Koalitionspartner kleinredet oder Koalitionsverträge einseitig interpretiert, schwächt die Handlungsfähigkeit des gesamten Bündnisses – und schadet damit letztlich der Demokratie.

Es ist höchste Zeit, das Gesprächsklima innerhalb der Koalition zu verbessern. Statt auf Polarisierung zu setzen und Koalitionspartner öffentlich in Frage zu stellen, braucht es den ehrlichen Willen zum Miteinander. Wer nur das eigene Profil schärfen möchte, schwächt am Ende die Handlungsfähigkeit der gesamten Regierung – und damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie.

Statt auf Symbolpolitik zu setzen, braucht es daher den Mut zu echten Reformen. Und statt kurzfristiger Profilierung sollte das langfristige Wohl des Landes den Maßstab politischen Handelns bilden.