Kaum ein politisches Thema wird derzeit so hitzig diskutiert wie die Frage nach der Finanzierbarkeit unseres Sozialstaates. Schlagzeilen über einen angeblich „nicht mehr tragbaren“ Sozialetat prägen die Debatte. Doch ein Blick in die offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigt ein deutlich differenzierteres Bild.

Der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt aktuell 5,53 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 lag dieser Wert sogar leicht höher bei 5,64 Prozent. Von einer eskalierenden Belastung der Gesamtwirtschaft durch den Sozialstaat kann also keine Rede sein. Der prozentuale Aufwand ist rückläufig – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung.


Die wahren Kostentreiber

Oft wird das Bürgergeld in der politischen Diskussion zum Hauptproblem stilisiert. Tatsächlich macht es jedoch nur rund 58,2 Milliarden Euro aus – also weniger als 8 Prozent der Sozialausgaben.

Die eigentlichen Kostenschwerpunkte liegen in zwei anderen Bereichen:

  • Gesetzliche Krankenversicherung (GKV): 326,6 Milliarden Euro
  • Rentenversicherung: 409,4 Milliarden Euro

Besonders im Gesundheitswesen wurden Reformen in den vergangenen Jahren versäumt. Hinzu kommt die problematische Entscheidung des früheren Gesundheitsministers Jens Spahn, die Krankenkassen dazu zu verpflichten, ihre Rücklagen weitgehend aufzubrauchen – ein Schritt, der die finanzielle Stabilität des Systems langfristig geschwächt hat.


Polemik um Sanktionen und Migration

Ein weiterer wiederkehrender Streitpunkt ist die angebliche fehlende Sanktionierung von Bürgergeld-Beziehern und der Einfluss von Einwanderung auf den Sozialstaat. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache:

  • Von den insgesamt Beziehenden des Bürgergeldes gibt es nur ca. 18.000 Totalverweigerer, die größtenteils deutscher Abstammung sind.
  • Etwa 15.000 Menschen mit Migrationshintergrund befinden sich in Sprachkursen oder auf Arbeitssuche – und tragen aktiv zur Integration und Arbeitsmarktteilhabe bei.

Die Polemik, Migration oder fehlende Sanktionen seien Hauptursachen für die Belastung des Sozialstaats, ist sachlich falsch und verzerrt das Bild.


Notwendige Reformen im Gesundheitswesen

Ein zentraler Hebel zur Stabilisierung wäre die Einführung einer Bürgerversicherung für alle. Das heutige Zwei-Klassen-System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung führt zu Ungleichheiten und strukturellen Defiziten.

Ein modernes Modell könnte so aussehen:

  • Alle Bürger zahlen in eine einheitliche Versicherung ein.
  • Höhere Einkommen erhalten die Möglichkeit, sich durch Zusatzversicherungen auf das Niveau der heutigen PKV abzusichern – sofern sie dies wünschen.

Das würde das Solidarsystem breiter aufstellen und zugleich eine gerechtere Lastenverteilung ermöglichen.


Rentensystem: Integration statt Sonderregeln

Auch die Rentenversicherung bedarf grundlegender Reformen.

  • Die Integration der Pensionskassen in die gesetzliche Rentenversicherung würde das System erheblich stabilisieren.
  • Zudem sollten auch Beamte Rentenbeiträge zahlen – zumindest anteilig –, um eine faire Lastenverteilung zu gewährleisten.

Gerechte Steuerpolitik als Schlüssel

Eine echte Stabilisierung des Sozialstaats gelingt jedoch nur, wenn auch die Steuerpolitik angepasst wird. Hier bestehen erhebliche Ungerechtigkeiten:

  • Arbeitnehmer zahlen im Schnitt bis zu 42 Prozent Einkommensteuer, während Vermögende im Mittel nur etwa 25 Prozent auf ihre Kapitalerträge leisten.
  • Der Spitzensteuersatz sollte nicht – wie von der SPD vorgeschlagen – bereits ab 70.000 Euro Jahreseinkommen greifen. Sinnvoll wäre eine Erhöhung um mindestens 5 Prozentpunkte erst ab 125.000 oder 150.000 Euro Jahreseinkommen, womit der Satz bei 47 Prozent läge.

Zum Vergleich: Unter der konservativen Regierung Helmut Kohls lag der Spitzensteuersatz bei 52 Prozent – und gleichzeitig wurden Vermögen deutlich gerechter besteuert. Von einer „Überbelastung“ kann also historisch betrachtet keine Rede sein.


Fazit

Die Debatte um den „nicht mehr finanzierbaren Sozialstaat“ ist in großen Teilen eine Scheindebatte. Nicht das Bürgergeld oder die Sozialhilfeleistungen sind das Problem, sondern ein Reformstau in den großen Systemen Krankenversicherung und Rente – kombiniert mit einer Steuerpolitik, die Vermögen schont und Arbeit überproportional belastet.

Ein nachhaltiger, stabiler Sozialstaat braucht daher:

  1. Bürgerversicherung statt Zwei-Klassen-Medizin
  2. Integration der Pensionen in die Rentenversicherung
  3. Faire Besteuerung von Vermögen und hohen Einkommen

So ließe sich der Sozialstaat langfristig finanzierbar, gerecht und zukunftsfest gestalten – und das weit entfernt von Panikmache und falschen Schlagworten.