Ich habe neulich einen sehr guten Beitrag darüber gelesen, warum die Corona-Strategien unserer Landesregierungen auf derart wenig Akzeptanz treffen. Die Gründe sind, liegen sie erst einmal auf dem Tisch, eigentlich relativ logisch. Ich möchte sie daher heute ebenfalls kurz darlegen. Im Kern geht es darum, dass man in politischer Verantwortung auf zweierlei Art an eine Krise annähern kann. Die Typologie, die ich hier verwende geht auch Erik Flügge zurück, der diese bereits sehr Eindrucksvoll selbst geschildert hat.
Mein Parteikollege unterscheidet hierbei zwischen einer präventiven und einer sozial inklusiven Krisenbewältigung. Beide Begriffe bedarf es freilich zu erläutern, was ich im Weiteren machen will.
Die präventive Strategie
Im Falle der präventiven Strategie geht man davon aus, die Katastrophe anzukündigen, um zu verhindern, dass sie eintritt. Weil die Katastrophe in der Folge aber nicht – oder zumindest nicht in voller Härte – eintritt, wird das erreichte Ausbleiben den Verantwortungsträger*innen vorgeworfen. Man spricht hier in der Fachsprache von einem Präventionsdilemma, das man in unserem Land nur allzu gut beobachten kann.
Diese Strategie bedarf, neben einer scharfen Problem-KANN-Beschreibung, frühzeitigen harten und starken Maßnahmen. dies hat nicht nur das Ausbleiben der Katastrophe zur Folge, sondern aufgrund dessen auch einen wachsenden Widerstand gegen die ergriffenen Maßnahmen. Dies könnte freilich verhindert werden, wenn die Bevölkerung den Ernst der Lage, auch bei Ausbleiben der Katastrophe, noch hinreichend verstehen und eine hohe Akzeptanz für die Maßnahmen zeigen würde. Dies ist jedoch, wie wir sehr gut erkennen können, nicht der Fall. Vielmehr wächst der Widerstand stetig weiter und das Verständnis schwindet. Ich beobachte dies auch bei mir, wie meinem Standpunkt vom 23. März leicht zu entnehmen ist.
Die sozial inklusive Strategie
Sie klingt begrifflich zunächst harmloser, ist aber die wesentlich verheerendere, geht sie doch einen drastischeren Weg. Hier lässt man das präventive Moment nämlich verstreichen lässt und die Argumentation immer im Hier und Jetzt verharren. Denn – so die Annahme und oft leider auch die Realität – erst wenn die Katastrophe real eintritt, sind auch alle Willens, sie zu bekämpfen. Das makabere an dieser Strategie ist die bittere Wahrheit, die in ihr liegt. Denn hier braucht zuerst Todesopfer, um weitere Todesfälle zu verhindern.
Diese Strategie hat zwar den großen Vorteil, dass es nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft in Vorausschauende und Nicht-Vorausschauende Bürger*innen kommt, verzichtet sie doch gänzlich auf die frühzeitige Dramatisierung und begnügt sich schlicht mit der Eindämmung der bereits sichtbaren Katastrophe. Sie ist für Menschen, die gerne vorausschauend denken jedoch nur schwer zu ertragen, stellt jedoch sicher, dass zum Zeitpunkt des Verhängens von harten Maßnahmen deren Notwendigkeit von allen gleichermaßen anerkannt wird. Ihr Preis sind mehr Krisen-Opfer zu Gunsten eines gesellschaftlichen Friedens. Man muss sich an dieser Stelle die Frage stellen, ob der gesellschaftliche Frieden schwerer wiegt, als eine Vielzahl von Krisen-Opfern!?
Die sozial inklusive Strategie hat zu jeder Zeit die Möglichkeit einer beobachtbaren Problem-IST-Beschreibung und ergreift erst sehr spät, harte Maßnahmen. Sie lebt durch das beobachtbare, kurzzeitige Eintreten der Katastrophe und dem darauf folgenden schnellen Stop, wodurch der Widerstand gegen die Maßnahmen deutlich sinkt.
Was ist nun richtig?
Diese Frage muss sich freilich Jede und Jeder von uns selbst beantworten. Zwar bin ich, ob meiner beruflichen Tätigkeit in Form von Projekten, durchaus ein stark präventiv ausgerichtetes herangehen an Probleme gewöhnt, kann die Legitimität der sozial inklusiven Strategie jedoch ebenso wenig von der Hand weisen, wie es mein Kollege Erik Flügge tut. Sie ist eine Möglichkeit durch die Krise zu steuern und von einem Teil der Ministerpräsident*innen auch bereits angewendet. Kurzum: ich bin unentschlossen. Am liebsten wäre mir, eine stärkere Akzeptanz für den präventiven Ansatz. Wenn dieser jedoch nicht gegeben ist, muss man ggf. einen Wechsel der Strategie durchaus in Betracht ziehen und darf diesen, bei allen persönlichen, inneren Widerständen, nicht von der Hand weisen.
Die beiden Strategien zu vermischen darf jedoch in keinem Fall passieren. Dies würde Chaos bedeuten. Und eben dieses Chaos richtet auch der NRW Ministerpräsident Armin Laschet in diesen Tagen an.
Die NRW-Corona-Politik
Sascha Lobo schreibt zur aktuellen Krisen-Politik von Armin Laschet das folgende:
Herr Laschet, ich habe das Restvertrauenin Ihre politische Fähigkeit verloren […]. Die Essenz meiner Geringschätzung Ihrer politischen Leistungen ist, dasss ich mich von Ihnen regelmäßig vergackeiert fühle. Verhohnepipelt sogar. Es hat mich eine sprachzivilisatorische Energie gekostet, an dieser Stelle nicht ins Fokale abzurutschen.
Sascha Lobo, 07. April 2021 in seiner Spiegel Kolumne.
Erik Flügge formuliert es noch etwas anders. Er schreibt:
Laschets Politik ist so unüberzeugend, weil sie einen toxischen Hybrid beider Strategien versucht. Gleichzeitig redet Laschet das Problem groß (brauchen Brückenlockdown) und klein (gerade keine steigenden Zahlen).
Erik Flügge, 07. April 2021 via Facebook.
Woran liegt dies? Nun ja, Armin Laschet kündigt zum Einen eine präventive Strategie an, in der er nun den Brückenlockdown als Marschrichtung ausgibt, definiert diesen aber derart sozial-inklusiv aus, dass er nicht präventiv wirken kann. So will er gleichzeitig Kitas und Schulen offen halten und setzt auch weiterhin auf ein freiwilliges Homeoffice der Arbeitgeber*innen. Damit zeichnet Laschet die Katastrophe vor, verunsichert die Bevölkerung, handelt nicht präventiv, nimmt die Katastrophe dort in Kauf, wo er auch Schließungen verzichten will, um erst dann zu reagieren, wenn sie auch dort Realität geworden ist. Dies, so Erik Flügge, kombiniert die Schwächen beider Ansätze, da es die Gesellschaft spaltet und gleichzeitig die Katastrophe zulässt.
Eine Ansicht, die ich durchaus teilen kann. Eines ist für mich daher klar: wenn ich eine Strategie wähle, so muss ich diese auch klar und mit all ihren Konsequenzen leben. Eine Vermengung, oder gar ein steter Wechsel von der einen in die andere Strategie ist in diesen Zeiten – ein, zu keiner Zeit – sinnhaft und schon gar nicht hilfreich in der Bekämpfung einer Krise. Ich komme daher nicht umhin von unserer Landesregierung eine klare strategische Ausrichtung zu fordern, wie auch immer diese ausgerichtet sein möge und unabhängig davon, ob ich diese nun persönlich befürworten würde, oder auch nicht.
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